„Mädchen wie die“

LuT-Kurs J2 WHG 2018 am 05. und 26. Juni 2018

Man nehme eine Hand voll pubertierender junger Frauen, 20 ml Eliteschule, drei Esslöffel Bauernregeln, würze das Ganze mit einer Prise Kraftausdrücken und lasse beim Zubereiten „Weil ich ein Mädchen bin“ in Dauerschleife laufen: Fertig ist eine ereignisreiche Produktion des Literatur und Theaterkurses der J2 am WHG Durmersheim, die mehr unerwartete Wendepunkte enthält, als es Probentage gab (Verhältnis von etwa 5:3). In Evan Placeys „Mädchen wie die“ hält jeder Happen eine ganz neue Geschmacksrichtung bereit. Mal werden Genderklischees ausgeschlachtet, mal werden Publikumserwartungen in der Luft zerfetzt, mal wird der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten …

Es beginnt in einer sonst unspektakulären Geschichtsstunde über das Frauenwahlrecht, als die auserwählten Mädchen mit „kreativem Potential zu unkonventionellem Denken“ (Janika Grund, Franka Kary, Alina Schübel, Maren Jenc, Emily Marquardt) ein Nacktfoto von der Mitschülerin Scarlett (Noelle Eschenbach) auf ihre Smartphones geschickt bekommen – vier Sekunden später kennt es die gesamte Schule. Dort, an der Eliteschule St. Helens wurde die ,Hackordnung’ schon mit der Geburt festgelegt. Oben, Mitte und Unten sind nicht einfach Kategorien, sondern bestimmen über die Anzahl an Geburtstagseinladungen, Instagram-Followern und der Anzahl akzeptierter herablassender Vulgärausdrücke. Doch als die Pubertät einsetzt, eröffnet Scarlett mit ihren fortschreitenden körperlichen Entwicklungen und ihrem Selbstbewusstsein eine neue Kategorie der Beliebtheit: Schönheit ruft Bewunderung bei den Jungs, aber Neid bei den Mädchen hervor. Und Neid ist eine der Hauptzutaten von Mobbing. Das Nacktfoto ist die Bezahlung des Neids und schon werden als Gegenleistung großzügig Beleidungen und Ausschluss verteilt. Von „die ist ja gar nicht so hübsch“ über „sie ist wirklich fett“ bis zu „Scarlett ist eine Schlampe“ – Ein wenig über jemand anderen geschimpft und plötzlich ist die eigene Nase gar nicht mehr so groß und sind die eigenen Beine gar nicht mehr so krumm. Die scheinheiligen Sandkastenfreundinnen sind zu keifenden, beißenden und hackenden Monsterhühnern mutiert. „Klar“ also, dass ein kurz darauf auftauchendes weiteres Nacktfoto des schulweit beliebten Russels von den Hühnern umdrängt und angehimmelt wird? Nein! Überhaupt nicht! Gar nicht, findet Scarlett, doch in St. Helens hat sie schon früh gelernt, dass es egal ist, was SIE sagt. „Klar“, sagt sie nur und lässt die Beleidigungen, aber auch die Prügel (von Russels Freundin: Alicia Wagner) über sich ergehen.

Vom Bühnenbild getragen und von den visuellen und auditiven Effekten eindrücklich in Szene gesetzt (Technik: Nicolas Hilger, Nikolas Meister, Luca Renner und Martin Schlegl), wird das Publikum immer mehr in einen Strudel aus Schuld und Mitgefühl gesogen. Scarlett muss erst erfahren, wie die Welt des St. Helens sie in die vollkommene Abgeschiedenheit verstößt, bis sie erkennt, dass die Welt außerhalb des St. Helens sich nicht im Geringsten um das St. Helens schert. Insgesamt wird dem Publikum somit eine köstlich abwechslungsreiche Komposition voll Spannung, Herzblut und tiefgründiger Gedanken vorgelegt, die dem spontanen Improvisationstalent der Regie (Linus Kohler, Ann-Sophie von Zitzewitz und Carsten Thein) und dem engagierten Talent der Schauspielerinnen zu verdanken ist!

P.S.: Weitere leckere Gerichte sind im Jakobus-Theater zu probieren, dem für die Bereitstellung der Probe- und Aufführungsräume nochmals explizit gedankt sei.

Andische Schabani